Ein Geschäftsführer und seine störenden Zwänge
Der erfolgreiche Geschäftsführer eines mittelständigen Unternehmens leidet seit einigen Jahren unter dem Zwang sich mehrmals am Tag die Hände zu waschen. Die Überzeugung hinter der Handlung ist, wenn ich mir nicht die Hände wasche, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung, und die Folge wäre ein Arbeitsausfall und im schlimmsten Szenario ein Arbeitsplatzverlust und der soziale Absturz. Damit sich diese fiktive Katastrophe nicht erfüllt, wäscht er sich die Hände und erlebt dabei jedes Mal ein wohliges Gefühl die Katastrophe abgewendet zu haben.
Aber es kommen ihm auch Zweifel, ob diese Methode unsinnig ist, denn übliche Erkrankungen, wie Erkältungen, Magen-Darm-Verstimmungen, stellen sich trotz des rigiden Händewaschens ein.
Der kompetente Geschäftsmann erkennt in der Beratung, dass es Verbindungen zu biografischen Erlebnissen gibt. Den übernommenen Familienbetrieb hatte er vor einigen Jahren verloren und musste Insolvenz anmelden, für ihn eine soziale und emotionale Katastrophe. Dies darf sich nie wiederholen. Hinzu kommt die Erfahrung, dass der Vater ihn in den Familienbetrieb zwang, obwohl er deutlich andere Gaben und Fähigkeiten hat und dieses gar nicht wollte. Das damalige, schmerzhafte Scheitern wirkt wie ein Damoklesschwert, das es aktuell zu vermeiden gilt. Die vermeintliche Kontrolle über alle Unwegbarkeiten vermittelt ihm das Händewaschen.
In den Gesprächen sieht er die Zusammenhänge und beginnt einen bewussteren Umgang mit dem Hände-waschen. An stressfreieren Arbeitstagen gelingt die Reduzierung des zwanghaften Händewaschens schon ganz gut. „Es ist harte Arbeit“, sagt der Geschäftsmann beeindruckt, und man spürt ihm die Erleichterung an, dem Zwang nicht mehr hoffnungslos ausgeliefert zu sein.
Der traumatische, familiäre Zwang zur Übernahme des Familienbetriebes wurde in einer Konfrontationssitzung angegangen. In einer sich bewusst-machenden, belastenden Situation aus der Vergangenheit, konnten die schmerzhaften Erfahrungen beteiligten Personen gegenüber benannt werden und durch neue, der Wahrheit entsprechenden ersetzt werden. Diese Veränderung in der Tiefe der Seele ist nötig, um grundlegend neu und fördernd über sich selbst und den traumatischen Erfahrungen nachzudenken, diese zu bewerten und zu fühlen.
Erschwerend für den Heilungs- und Veränderungsprozess wirkte sich das negativ geprägte Gottesbild des Geschäftsmannes aus. Das Vertrauen in Gott als fürsorglichen, vertrauenswürdigen und haltgebenden Vater wurde durch das negative Vorbild seines frommen, leiblichen Vaters nicht entwickelt und in das Gegenteil verkehrt.
Das äußerst komplexe und verwobene Geschehen der biografischen, familiären gesetzlichen Frömmigkeit, der gewaltsamen Familienbetriebsübernahme und damit einhergehenden Ablehnung des Sohnes in seinen eigentlichen Gaben, Fähigkeiten und seiner Identität, sowie das Scheitern und der unsichere kontrollierende Lebensstil, trotz aktuell sicheren, und gut dotierten Arbeitsplatz, verlangte nach Geduld und Zeit, um die komplexen Zusammenhänge zu verstehen.
Hartmut Schott
(mit freundlicher Genehmigung)